Terry Pratchett
Steife Prise: Ein Scheibenwelt-Roman
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»Steife Prise: Ein Scheibenwelt-Roman« von Terry Pratchett
Wo es Polizisten gibt, da gibt es auch Verbrecher... oder war es doch andersherum?
Mumm genießt seinen wohlverdienten, langersehnten Urlaub auf dem herrschaftlichem Landsitz der Käsedicks, lässt die Seele baumeln und verbringt viel Zeit mit seiner Familie. Zwei von drei Aussagen sind eine Lüge...
Mumm wird (unter Protest) genötigt eine Auszeit zu nehmen, gibt "freiwillig" seine Dienstmarke ab (unter sehr viel mehr Protest) und tritt (muffelig) seinen Landurlaub an. Auf dem riesigen Anwesen voll von Dienstboten, die sich jedes Mal zur Wand umdrehen, wenn er vorbeigeht, auf dem er theoretisch der unumschränkte Alleinherrscher ist (man erinnere sich an den letzten unumschränkten Alleinherrscher von Ankh-Morpork) fühlt er sich als Klassenfeind, Ausbeuter und so gar nicht wie ein Polizist- was er im Moment auch nicht mehr ist. Ein wenig hilflos steht er sowohl der Landbevölkerung (die sich nicht mit den "Oberen" verbrüdern wollen) als auch dem Landadel gegenüber. Wie schön, als sich herausstellt, dass sich die beiden Welten Stadt und Land gar nicht so sehr unterscheiden- auch auf dem Land stinkt das Verbrechen (besonders, wenn es vorher in einen Kuhfladen getreten ist). Mumm recherchiert auf altbekannte Weise, stellt alles und jeden unter Verdacht und hilft den Unterdrückten, auch wenn diese es zuerst gar nicht wollen. Für ihn sind alle Verbrecher gleich, genau wie alle Opfer- seien sie entrechtete Goblins oder piekfeiner Adel. In letzterem Fall ist eine Anklage sogar ein besonderes Vergnügen, findet Mumm. Hilfe bei den Ermittlungen bekommt er von dem gar nicht so tumben Dorfpolizisten und einer Kinderbuch-Autorin, die bevorzugt über Faeces schreibt. Da kann ja nichts mehr schiefgehen...
Über den Autor
Wer Terry Pratchett nicht kennt, ist selbst schuld und unglaublich glücklich- demjenigen steht eine fantastische Reise in ein unglaubliches Universum bevor. Pratchett schrieb dutzende Bücher, die weltweit über 60 Millionen mal verkauft wurden und von denen seine bekanntesten auf der Scheibenwelt spielen, einer unglaublich flachen Welt, die von vier Elefanten getragen wird, die ihrerseits auf dem Rücken der riesigen Sternenschildkröte A'tuin stehen, welche auf ihrer ewigen Reise zwischen den Sternen durch das Weltall paddelt. Die Scheibenwelt wird von den skurrilsten Wesen bevölkert, wie dem personifiziertem TOD, der nur in Kapitälchen spricht und Katzen liebt, unfähigen Zauberern, vegetarischen Werwölfen und Vampiren mit Lichtobsessionen, um nur ein paar zu nennen.
Pratchetts Schreibstil zeichnet sich durch viele Anspielungen auf Hoch- und Popkultur aus, sowie durch sehr viel Humor, der von feinsinnig bis zu derb-komisch reicht und durch seine typisch britische Note schon viele Übersetzer verzweifeln ließ.
Die Scheibenwelt umfasst mittlerweile 39 Hauptromane sowie Landkarten, "Sachbücher", Quizbücher, "Bücher aus der Scheibenwelt" wie "The World of Poo", Kalender und viele weitere Produkte.
Rezension
Der Scheibenwelt-Stil hat sich im Laufe der Jahre stark verändert. Waren die allerersten Romane noch gespickt mit tausenden Verweisen auf Geschichte und Humor, änderte sich der Stil zu dem sehr viel publikumstauglicherem Situationshumor. Die jüngsten Romane sind düsterer als seine früheren Werke, was sicher auch darauf zurückzuführen ist, dass Pratchett leider schwerstkrank ist und seine Bücher nur noch mühsam schreiben kann. Mittlerweile erhält er Hilfe von seiner Tochter.
"Steife Prise" spielt größtenteils auf dem Land, es gibt allerdings auch einige Szenen in der Stadt Ankh-Morpork. Lord Vetinari hat durch ein eigentlich simples Gesetz unabsichtlich eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die sowohl Mumm als auch die Stadtwächter zu spüren bekommen. Die kausale Kette der Ereignisse ist gut ausgearbeitet und typisch für Pratchetts Liebe zum Detail- fast alles wird berücksichtigt, taucht in irgendeiner Form wieder auf oder wird später noch einmal wichtig.
VORSICHT! Nach Möglichkeit keine Spoiler, aber Analyse mit Verweise auf vorige Bände!
Die Welt ist größer geworden- zwar sind die Helden immer mal wieder in fremde Länder gereist, aber alles Wichtige in der Stadtwache spielte sich fast immer in Ankh-Morpork ab. In diesem Band gibt es zum ersten Mal eine wirkliche Globalisierung und die Auswirkungen davon bekommt auch Ankh-Morpork zu spüren, das nicht so autark ist, wie die Bewohner es gerne hätten. Pratchett kritisiert sehr scharf die Auslagerung von Unternehmen in Billigländer und die Arbeitsbedingungen, die dadurch entstehen- weil die Konsumenten billig kaufen und die Unternehmer sich bereichern wollen. Dies zeigt er zwar am Beispiel einer nichtmenschlichen "minderwertigen" Rasse, die aber denken und fühlen kann und ihre eigene Kultur hat, was alle anderen ignorieren. Der einzige Fehler der Goblins ist, dass sie sich nicht wehren. Als Fantasyleser, der an Magie und Schwerter gewöhnt ist, will man den Goblins unwillkürlich zuschreien: Wehrt euch! Beißt sie! Befreit euch! Aber das können sie nicht- die Menschen sind zu stark und zu viele, und so haben die Goblins aufgegeben. Das war nicht ihre Schuld, aber ihre Resignation wird aus Bequemlichkeit und weil man kein schlechtes Gewissen möchte als "freiwillige Unterwerfung" interpretiert und gnadenlos ausgenutzt.
Wie man sieht, ist "Steife Prise" sehr sozialkritisch und auch thematisch dunkler als die meisten Pratchetts. Alle Scheibenwelt-Bücher sind nicht nur komisch, sondern haben auch eine ernste Seite. Bei den meisten kann man die Bücher aber "nur" als lustiges Buch lesen, dies ist bei "Steife Prise" nicht möglich. Die Kritik ist zu sehr Teil der Haupthandlung, als dass man sie überlesen könnte. Zuerst hat mich das sehr gestört. Pratchett ist mein Lieblingsautor. Ich lese seine Bücher, weil ich seinen Humor und seinen Schreibstil schätze und ich mich in der Scheibenwelt verlieren kann. Zwar gab es immer Tote und auch unschuldige Opfer, die aber von TOD gerichtet wurden oder irgendwie ihre Vergeltung bekamen. Der Narrativismus der Scheibenwelt sorgte dafür, dass am Ende immer alles gut ging. In gewisser Weise ist das immer noch der Fall, trotzdem schmeckte das Ende in diesem Fall etwas hohl, da so viel verloren wurde- in gewisser Weise auch die Unschuld der Scheibenwelt. Die Oberschicht ging zwar immer über Leichen, aber selten über Massenmord. Doch ist es Mord, wenn man etwas tötet, was von der Gesellschaft als Tier definier wird? Für Mumm ist die Antwort einfach und klar- ja. Er hält sich an sein eigenes Gesetz, muss es sogar. Vetinaris Position ist weitaus schwieriger, aber ebenfalls verständlich. Seine oberste Verantwortung ist nicht wie Mumm ein höheres Ideal wie Gesetz oder Gerechtigkeit, sondern die Stadt und die soziale Verantwortung.
ANALYSE ENDE
Die Story ist sehr gut durchdacht (auch wenn ich das nicht sofort begriffen habe). Nur leider sind die Personenbeschreibungen an vielen Stellen wirklich misslungen und absolut daneben, stellenweise so sehr, dass man den Charakter nicht wiedererkennt. Am stärksten ist Vetinari betroffen- er jubelt begeistert, als er ein Kreuzworträtsel löst, und nennt eine Frau bei der Times seine schärfste Konkurrentin. Bei ihm ist normalerweise das höchste der Gefühle, wenn er eine Augenbraue hochzieht- oder in einem dreifach verschlossenen Raum um Mitternacht im Stockfinstern ein hauchfeines Lächeln zeigt. Dies war der schärfste Bruch, aber andere Sachen sind mir auch sauer aufgestoßen, wie die Interaktion zwischen Mumm und seiner Ehefrau. Mumm ist sehr viel mehr bereit die Gesetze und seine eigenen Vorstellungen zu beugen als früher, aber dies lässt sich mit seiner Entwicklung, besonders in "Klonk", erklären.
Die Zeitebene ist etwas verrutscht. In "Klonk" ist Mumm eine Art Allianz mit etwas eingegangen, das ihn in "Steife Prise" immer noch nicht verlassen hat und ihm immer wieder begegnet. Laut Mumms Aussage liegen "manchmal Jahre zwischen den Begegnungen". Mumms Sohn Sam ist allerdings noch sehr klein, also sind höchstens 3-5 Jahre vergangen. Die Stadtwache hat plötzlich gewaltigen Übernatürlichen-Zulauf bekommen, in "Klonk" gab es einen Werwolf und neuerdings einen Vampir, in "Steife Prise" gibt es von beiden mehrere.
Ich könnte noch ewig so weiterschreiben, aber dann würde ich vermutlich einen Aufsatz von der Länge von "Steife Prise" verfassen und ich denke, man sollte das Buch eher selbst lesen. Zusammenfassend ist der Roman spannend und gut durchdacht, mit interessanten Charakteren, viel Situationskomik und vielen Stellen zum Nachdenken. Zwar ist es kein Kriminalroman im eigentlichen Sinne, da sowohl der Leser als auch Mumm recht schnell einen größeren Zusammenhang ahnen, aber die Beweise fehlen. Es gibt einige große Überraschungen und viele alte Bekannte. Komplett ohne Scheibenwelt-Vorkenntnisse wäre es schwer zu verstehen, zumindest die Stadtwachen-Bücher sollte man kennen.
Fazit
Etwas dunklerer Pratchett mit viel Sozialkritik, einer spannenden Geschichte, gutem Plot, solidem Humor und manchmal leider etwas aus dem Charakter fallenden Protagonisten. Ich gebe 5 von 5 Sternen.